Erfahrungsbericht

Euer Projekt hat mich sehr bewegt. Es hat mich zum Nachdenken gebracht. Ich habe selber viele Sachen erlebt, von denen ich oft im ersten Moment nicht realisiert habe, dass mir gerade Alltagsrassismus widerfährt und ich mich dagegen wehren darf. Ich werde nicht Ostasiatisch gelesen, sondern bin Kind türkischer Gastarbeiter in der 3. Generation. Mir widerfährt oft ein sehr subtiler Rassismus. Falls es den Raum gibt meine Erfahrung auf eurer Plattform zu teilen, würde ich gerne diese eine Geschichte mit euch teilen. Ich würde dabei gerne mit Namen anonym bleiben.
Meine Geschichte:
Wir hatten gerade eine Deutschstunde (11. Klasse, Gymnasium, deutsche Kleinstadt). Aus Gründen an die ich mich nicht mehr erinnern kann, ging es um den Ehrenmord an einer türkischen Frau. Die ganze Klasse hat dieses Thema sehr mitgenommen. Nach dem Unterricht blieb meine beste Freundin noch zurück um mit der Lehrerin zu reden. Ich wartete an der Tür noch auf sie. Sie fragte die Lehrerin warum es in der Türkei so etwas gäbe, sie verstehe nicht wie Menschen so etwas tun könnten. Meine Deutschlehrerin (welche ich eigentlich sehr schätzte) antwortete ihr, dass die Türkei die Epoche der Aufklärung nicht erlebt habe. Die Türken würden ja nichts dafür können, ihrer Ansicht nach, sie "wüssten es einfach nicht besser". Ich konnte dem nichts erwidern, ich kannte mich mit Epochen nicht so gut aus. "Vielleicht stimmte es ja sogar", so dachte ich in diesem Moment. Lange hat mich dies beschäftigt. Ich ärgere mich bis heute, dass ich nichts gesagt habe. Ich nehme Ihren Satz immer wieder auseinander und in meinem Hinterkopf sagt eine leise Stimme "Sie hat gar nichts rassistisches gesagt. Nur die Wahrheit. Vielleicht hat sie ja sogar Recht". Doch hat mich ihr Satz sehr verletzt. Er hat mir das Gefühl gegeben, dass allen Türken die Intelligenz und Fähigkeit moralisch zu Handeln abgesprochen wurde, und dass schon im 18. Jahrhundert.
Dies ist keine drastische Erfahrung, ich habe auch oft keine Beleidigungen direkt an den Kopf geworfen bekommen. Doch realisierte ich erst jetzt beim Erwachsenwerden, wie viel subtilen Rassismus ich erfahren habe.